Ich habe Angst. Mal vier. Und das jeden einzelnen Tag.
Papa Habibi absolviert gerade seinen jährlichen obligatorischen Besuch bei der Familie in Ägypten und da es mir dort im Hinblick auf die politische Situation noch immer zu instabil ist, bin ich mit dem Troublemaker und dem Mini Monster zuhause geblieben. Papa Habibi hätte ich entsprechend ebenso gerne hier festgekettet, nur kann ich ihm natürlich nicht verwehren, seine Familie in regelmäßigen Abständen zu sehen, das ist nun mal das Los, das ich gezogen habe und es ist schließlich schon schlimm genug, dass sich diese Regelmäßigkeit nur auf einmal pro Jahr beläuft und seine Mutter ihren jüngsten Enkel nun wieder nicht kennenlernt.
Ich hingegen sitze nun hier und habe Angst. Angst, dass ihm irgendetwas zustoßen könnte. Und das im Minutentakt. Währenddessen berichten die Medien mit einer täglichen Kontinuität von den schlimmen Dingen, die sich nicht in Ägypten, sondern in unserem unmittelbaren, und wie ich immer dachte sehr behüteten, Umfeld ereignen.
Fakt ist, die Welt hat sich verändert. Das hat mir auch meine Oma schon unmissverständlich klar gemacht, als ich ihr damals von meiner Schwangerschaft erzählt habe:
“Die zunehmende Umweltverschmutzung, der Klimawandel und nicht zuletzt der sich aus täglich ausbreitende Terrorismus – ich möchte in dieser Welt keine Kinder mehr kriegen.”
Auch wenn dies natürlich nicht die Antwort ist die man sich wünscht, wenn man der Familie neuen Nachwuchs verkündet, nur sehe ich ihre Worte traurigerweise mit jedem Tag bestätigt.
Hashtags wie #jesuischarlie, #weareberlin, #prayforaleppo oder #staystronglondon sind zum Symbol dafür geworden, dass sich gerade wieder etwas Schreckliches irgendwo in der Welt ereignet hat. In meinem Facebook News Feed erhalte ich täglich Suchaufrufe von vermissten Frauen oder Kindern und jeden Tag gibt es neue BREAKING NEWS über Anschläge und Verbrechen, die an Brutalität und Perversität kaum zu übertreffen sind. Und oft sind es unschuldige Zivilisten die dem zum Opfer fallen und das einfach nur, weil sie sich schlichtweg zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten haben.
Und ich habe eine solch unglaubliche Angst, dass es irgendwann eines meiner Kinder treffen könnte.
Oder Papa Habibi – was würde ich denn ohne ihn machen? Und wie könnte ich das jemals den Kindern erklären?
Um meine eigene Unversehrtheit, ob körperlich oder psychisch, geht es seit der Troublemaker und das Mini-Monster bei uns sind schon lange nicht mehr. Ich habe keine Zeit mich mit meinem eigenen Befinden und meinen Bedürfnissen zu befassen, es gibt Tage da nehme ich diese nicht mal mehr war, denn Fakt ist, ich muss funktionieren, Tag und Nacht – für meine Kinder.
Und so bleibt die Angst, dass mir etwas zustoßen könnte und dass nicht weil ich mir selbst am wichtigsten bin, sondern weil ich meine Kinder dann nicht mehr vor den ganzen Grausamkeiten des Lebens schützen kann.
Als ich selbst Kind war, wollte ich langezeit nur in Begleitung in den Keller gehen, nur dann fühlte ich mich sicher. Je älter ich wurde, umso “mutiger” wurde ich und mit der Naivität eines Kindes dachte ich, dass ich wenn ich endlich groß bin, vor nichts im Leben mehr Angst haben werde, da ich dann stark genug bin mich selbst zu beschützen.
Dass Ängste, wenn auch in einer anderen Form, mich mein Leben lang begleiten würden, hätte ich nie geglaubt und hätte man mir damals gesagt was mich erwartet, hätte ich es mit dem Erwachsenwerden wohl nicht ganz so eilig gehabt. Denn was ich nicht bedacht hatte, war dass ich selbst zu der beschützenden Person werden würde, auf dessen Gegenwart ich selbst einst angewiesen war. Das ist im Erwachsen- und Elternsein mit inbegriffen.
Und so ist es normal, dass jede Mutter und jeder Vater, die eigenen Kinder um alles in der Welt vor jeglichem Schmerz und Kummer schützen möchte. Koste es was es wolle. Und so werde ich, ohne es selbst zu bemerken, zur besagten Helikoptermama, die sich selbst und ihre Kinder am liebste zuhause verbarrikadieren würde, um jegliches potentielles Risiko zu minimieren.Und wenn ich mich dann selbst diese Zeilen schreiben sehe, merke ich, wie wahnsinnig das eigentlich ist.
Aber mal im ernst, die heutige Gesellschaft will es doch auch nicht anders, oder?
Als ich damals mit dem Troublemaker schwanger war und das erste Mal einen Babyfachhandel betreten habe, bin ich nach kurzer Zeit völlig verwirrt und rückwärts wieder rausgelaufen, dabei hatte ich “lediglich” nach einer Babyerstausstattung gefragt.
Mir brummte der Kopf von den extra atmungsaktiven Matratzen fürs Babybett, dem Babyfon mit Videofunktion, damit ich mein Kind jederzeit sehen kann und der Sensormatte die einen Alarm auslöst, für den Fall dass bei meinem Kind die Atmungsaktivität aussetzt. Ich habe das Gefühl der komplette Laden war nur um Produkte rund um den plötzlichen Kindstod ausgerichtet bzw. wird dieser als abscheuliche Marketingkampagne missbraucht um einer unwissenden (Erstlings)Mama alles als unabkömmlich anzudrehen, um die Sicherheit ihres Babys zu gewährleisten. Und wer spart schon an der Sicherheit seines Kindes?
Für die Gesellschaft bist du also entweder die (verantwortungslose) Rabenmutter oder die (übervorsichtige) Helikoptermama.
Und wer von beiden möchte ich denn nun sein?
Im Ernst? Ich selbst möchte mich weder mit dem einen noch dem anderen betiteln, aber wenn mir jemand ein Label verpassen möchte, darf er das gerne machen – I don’t care. Was mich hingegen wirklich interessiert ist, wie ich meinen Kindern eine unbekümmerte Kindheit ermöglichen kann. Sie sollen im Garten oder in der Nachbarschaft spielen, bis es dunkel wird. Ich selbst bin als Grundschulkind alleine zur Schule gegangen und habe alleine den Bus ins Nachbardorf genommen um zum Sport zu fahren. Das hat mich natürlich auch gelehrt selbständig zu sein und das halte ich auch für elementar. Nur natürlich nicht in dem Moment, wo der Preis dafür die Sicherheit ist. Und heutzutage habe ich Angst, dass es so sein könnte.
Letztendlich ist mir natürlich selbst klar, dass es unmöglich ist meine Kinder vor allem zu schützen, denn das Leben unterliegt einfach viel zu vielen externen Einflüssen, gegen die wir absolut und rein gar nichts tun können. Unfälle. Naturkatastrophen. Krankheiten. Alles kann einen jederzeit ereilen.
Umso wichtiger wäre es meinem Kopfkino Regieanweisungen über die schönen Dingen des Lebens zu geben, statt tagtäglich nur all die schlimmen Dinge die passieren könnten abzuspielen, zumal:
„Ein Leben in Angst ist ein Leben nur halb gelebt.“ (Urheber unbekannt, aber genial)
Und gerade weil das Leben mit meiner Familie so kostbar ist, möchte ich doch nie darauf zurück blicken und mir wünschen, alles anders und mit viel mehr Spaß erlebt zu haben. Und für meine Kinder ist es allemal schöner, Momente voller Freude statt Angst miteinander zu verbringen.
Denn was wir als Eltern nie vergessen dürfen, ist dass sich die Kindheit in das Gedächtnis eines Kindes einprägt und zwar nicht nur in das Bewusstsein, sondern in das Unterbewusstsein. Und negative, nie aufgearbeitete Erinnerungen lassen beispielsweise das Scheidungskind vielleicht ewig unter Trennungs- und Verlustängsten leiden.
Umso wichtiger ist es also, so viele positive und schöne Erinnerungen wie möglich zu schaffen, in der Hoffnung unseren Kindern nicht nur eine schöne Kindheit sondern auch eine erfolgreiche Zukunft ermöglichen zu können.
Nun würde mich aber trotzdem interessieren, ob euch ähnliche Ängste im Alltag begleiten und wenn ja, welche Strategien habt ihr entwickelt um damit umzugehen?